Hausgeist, 2020
Aluminum, glass, concrete, rivets,
a shovel of garden soil,
remaining seeds from spring, LED, cables
45cm × 20cm

 

 

[...] Einer der Steine hatte ein Loch. Gerade genug gross, so dass ich meinen kleinen Finger hineinstecken konnte. Auf der Rückseite kam dessen Spitze zu Vorschein, sie schien viel röter, sogar blauer als der Rest meiner Hand.

 

Ich war abgeschweift, wahrscheinlich auch einige Augenblicke verstummt. Von der anderen Seite des Autos hörte ich wie sie sich mit balancierenden Schritten näherte. Die Steine unter ihren Füssen verschoben sich leicht.

 

“Du hattest die ganze Nacht getanzt, hast du gesagt. Aber was passierte dann?”, sie fragte das wie wenn sie sich für meine Erinnerung tatsächlich interessieren würde. Dabei schien sie nicht mehr so gedankenfern wie zuvor. Ich löste den Stein um meinen Finger und versuchte mich genauer zu erinnern.

*

 

Die Performance am Nachmittag war gelungen. Mit der ganzen Gruppe, den Kunstschaffenden, den Kuratierenden und einigen verbliebenen Besuchenden gingen wir danach noch in ein schickes Lokal. Da alles auf die Kasse des Kunstraumes ging, waren bald alle schon etwas betrunken. Und als das Lokal schloss, entschieden wir uns, in der nächsten Bar, noch auf einen Absacker zu gehen.

 

Dort wurde die übliche Musik gespielt: etwas Stilsicheres aus den achtziger Jahren damit die Schamgrenze fiel und dazwischen immer wieder die Afrobeats, die zurzeit gerade alle für sich entdeckt hatten. Ich liess mich genug gehen um aufzufallen, jedoch mit genug Contenance um nicht zu betrunken zu wirken. Ein paar der Anwesenden waren Freunde aus einer anderen Zeit, wir tanzten wie früher.

 

Manchmal setzte ich mich auf die Sitzkante die die Tanzfläche umgab, lehnte mich zurück und blickte in die tanzende Menge. Der Raum mit seinen Säulen und Vorhängen, die den Raum strukturierten, vermischte sich mit den Menschen die sich darin bewegten. Die Musik durchdrang jedes Material so, dass alles zu einer pumpenden Masse wurde.

 

Wir waren Vögel in der Luft.

 

Ein Tänzer fiel mir auf, seine Bewegungen unterschieden sich von denen der anderen Tanzenden. Er hatte eine hohe Gestalt mit weit auslaufenden Extremitäten, die durch die enge Kleidung noch länger schienen. Sein Hals reckte sich beim Tanzen weit nach vorne, auch dieser länger als bei anderen Menschen. Der Kopf bewegte sich auf einer imaginären horizontalen Linie im Takt vor und zurück und sein Adamsapfel liess den Hals so erscheinen, als ob dieser in der Mitte einen Knick hätte. Die kantigen aber durchaus ästhetischen Bewegungen liessen das nach hinten gekämmte Haar im Takt wippen, wie den Federschmuck eines Kiebitzes, dachte ich.

 

Ich hatte Spass und blieb lange genug, um dann verschwitzt und mit leichter Schlagseite nachhause zu gehen. Draussen war noch Nacht, aber ich hörte schon da und dort die Vögel pfeifen. Bis Sonnenaufgang konnte es nicht mehr lange dauern.

 

Wenig Menschen waren unterwegs, die Strassen stumm. Das schlechte Gewissen, das mich jeweils einnimmt, wenn ich an Menschen vorbeischleiche die zu Arbeit müssen, war diesmal angenehm. Ich hoffe immer sie schätzten mich als einen der ihren ein. Mit einem möglichst aufrechten und geschäftigen Gang versuchte ich sie zu imitieren.

 

Vielleicht konnte ich nach etwas Schlaf, leicht verkatert, noch etwas zu Stande bringen. So entschied ich, mich im Atelier zu verkriechen.

 

Dort schwankte ich die Treppe hoch, eine lange steile Treppe, entlang dem zwischengenutzten Haus. Vor der Tür kramte ich in meiner verschlissenen Wachstuchjacke nach dem Schlüssel. In den vielen tiefen Taschen fand ich jedoch alles andere und eigentlich hatte ich gar keine Kraft mehr die Gegenstände nach ihrer Wichtigkeit zu ordnen. Ich beschloss mit der verbliebenen Energie das Haus zu umklettern, um durch die ständig geöffnete Terrassentür hinein zu schleichen. Dabei musste ich an den Studios und Büros der anderen Bewohner vorbeischleichen. Ich duckte mich und mied die wacklige Bodenplatte, die normalerweise einen schönen aber lauten Ton machte wenn man darüber schritt.

 

In der Gemeinschaftsküche, die gleich hinter der Terrassentür lag, schlug mir ein starker Waldgeruch entgegen, in einer Intensität die mir hier unpassend schien. Ich tappte die Treppe hinunter zu meinem Atelier und war überrascht, dass dessen Tür weit offenstand. Vorsichtig sah ich hinein.

 

Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung. Meine Augen gewöhnten sich an das schwache Licht.

 

Und da. Mitten im Raum stand etwas. Nur das Flurlicht beleuchtete den sonst stockfinsteren Raum, mitten drin zwei leuchtende Augen. Einen langen Moment standen wir uns so gegenüber, die Blicke fixiert, beide unfähig eine passende Bewegung zu machen. Ich atmete in langsamen, vorsichtigen Zügen, obwohl ich von der Klettertour noch ein wenig ausser Atem war. Sein Fell war nicht orange wie in meiner Vorstellung, es war meliert in verschiedenen Farben die zusammen einen neuen Farbton ergaben: ein graubraunes, rötliches Schimmern. Auch waren die Haare verschieden lang, einige stachen weit vom Körper weg, was ihm ein struppiges Aussehen verlieh. Ich versuchte einen Schritt, da huschte das Tier hinter eine der herumstehenden Kisten und rollte sich zu einem wachsamen Fellknäuel zusammen. Ein Fuchs, ein kleiner, struppiger Stadtfuchs hatte sich in mein Atelier verirrt und nun galt es das Revier zu verteidigen.

 

Mit einigem Respekt schritt ich um das erschrockene Tier. Während ich voranging begann ich, unsicher was zu tun wäre, auf den Fuchs einzureden.

 

Er brauche sich keine Sorgen zu machen, ich wolle ihm helfen und zeigen wie er wieder aus diesem Haus herauskomme.

 

„Komm doch mit.“ Sagte ich halb flüsternd, aber bestimmt. “Du suchst doch sicher schon lange den Ausgang?” Doch schien er mich nicht zu verstehen. Immer weiter verschwand er hinter den Kisten bis ich nur noch seine Nasenspitze sehen konnte. Ich glaubte zu sehen wie seine längeren Haare leicht zitterten.

 

Eine Sprache war zu finden.

 

Intuitiv kauerte ich mich auf seine Augenhöhe nieder, versuchte mit meiner Mimik so viel Ruhe wie möglich auszudrücken. Einige Momente verharrte ich in dieser Position. Vielleicht würde ihn das soweit beruhigen, dass wir in einen Dialog treten konnten. Diese Ohnmacht kannte ich aus anderen Situationen. Ich wollte ihm nichts Böses, im Gegenteil. Unsere Sprache war aber derart verschieden, dass jede Bewegung, jedes Geräusch in unterschiedlichste Richtungen interpretiert werden konnte. Es war fast nicht möglich das Richtige zu tun.

 

Sollte ich gehen? Die Haustür öffnen und hoffen, dass ihn seine Instinkte und Sinne selbstständig in die Freiheit leiteten? Mich interessierte die Situation zu sehr. Ich mochte die Herausforderung, mit dem Fuchs eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, eine neue, die wir beide verstehen konnten.

 

Immer noch kauernd, begann ich leicht durch meine Nase zu schnaufen, so wie es der Fuchs machte. Mit dem Mund machte ich kleine Geräusche: mal ein leises Zischen, dann ein rythmisches Schmatzen. Die Augen richtete ich immerzu auf das Tier, um seine Reaktion auf meine Versuche zu beobachten. Dazwischen blieb ich lange still, ich wollte ihn auf keinen Fall überfordern. Manchmal griff ich zurück auf meine menschliche Kommunikation und bedeutete mit meinen Händen feine, winkende Zeichen. Dann zog ich mich ein wenig zurück, schlich auf allen vieren rückwärts.

 

Der Fuchs tastete ein, zweimal in meine Richtung, als wäre er einverstanden konstruktiv an diesem Gespräch teilzunehmen. Er folgte meinen Schritten, ich hatte inzwischen damit begonnen meinen neuen Freund mit langsamen, subtilen Gesten das Treppenhaus hoch zum Ausgang zu locken. Er folgte mir.

 

Hinter der Haustür blieb der Fuchs mit einem vernünftigen Abstand stehen und fixierte wieder, wie vorher, meine Augen. “Lässt du mich raus?”, fragte er. Ich versuchte das so deutlich wie möglich mit Mimik zu bestätigen, wollte meine Augen sprechen lassen, öffnete sie weiter, liess sie leicht kräuseln. Schnurrte: “Ja, ich möchte dir helfen, ich will dir nichts tun.”, “Überhaupt mag ich dich! Vertraue mir!”, versuchte ich, mich immer noch möglichst füchsisch auszudrücken.

 

Er tappte vorsichtig näher. Die Eingangstür presste ich mit meinem Rücken noch ein Stück weiter auf, damit der Fuchs mir glaube.

 

Dann ging alles sehr schnell.

 

Mit sehr kurzen Schritten schlüpfte ein Pfeil aus Fell an meinen Beinen vorbei über die Schwelle, den Vorplatz, die Treppe hinunter und in die Dunkelheit.

 

Wieder atmen.

 

Erst danach habe ich bemerkt, welche Zerstörung mein Besuch verursacht hatte. Zweimal hatte er in ein Apparatekabel gebissen, vielleicht war er deshalb die ganze Zeit so ruhig. Die Schocks, verursacht durch die Stromschläge, haben ihn wohl erschöpft und der Erfolg, mich mit ihm in seiner Sprache zu unterhalten, war wohl eher seinem Zustand, als meinem diplomatischen Können zu verdanken.

 

Vor diesem Vorfall habe ich den Fuchs oft auf der Treppe zu unserem Haus angetroffen. Seither habe ich ihn nie mehr mit eigenen Augen gesehen. Andere haben mir aber in der Zwischenzeit versichert, dass er sich noch immer in unserer Nachbarschaft umtreibt.

 

*
Ich stand wieder neben dem Wagen, dessen Hitze mir entgegenstrahlte. Sie war ebenfalls zurückgekommen. Über die Motorhaube warf ich ihr die verbeulte Flasche zu, die sie mit einer Hand fang. Mein unerwartet präziser Wurf und ihr beiläufiger Fang machten den Anschein eines eingespielten Teams. Sie nahm einen Schluck und öffnete gleichzeitig mit der anderen Hand die Fahrertür des Wagens. Dann reichte sie mir die Flasche über den Beifahrersitz und wies mich an mich zu setzen. Sie wollte noch vor sechs an einem freundlichen Ort für die Nacht sein. [...]